Konzert in St. Florin

Cusanus-Konzert 2012

Um Gott zu ehren, musste man ihm den Rücken zukehren. Zur Einstimmung in die 12. Cusanus-Akademie war das Publikum eingeladen, in St. Florin „das Unendliche in den Himmeln“ zu suchen. Dazu war die 
gesamte Bestuhlung der ehemaligen Cusanus-Wirkstätte umgedreht worden, damit Chor, Solisten, Instrumentalensembles und Orgel eine Klangeinheit bilden konnten.

„Öffnen wir den Blick aus der Kirche nach draußen. Gute Idee! Könnte von mir sein“, mag sich Gott gedacht haben, als er sich unter das Publikum mischte und seinen Segen reichlich spendete. Von diesem Segen schienen alle Mitwirkenden beflügelt gewesen zu sein. Unter dem Titel „L’infini dans les cieux – Geistliche Musik der französischen Romantik“ boten der Schülerchor und das neue Streicherensemble des Bischöflichen Cusanus-Gymnasiums, unterstützt durch die Solisten Beatrix Mählmann (Sopran) und Birgit Girod (Mezzosopran) sowie Christian Rivinius (Orgel) ein umfangreiches und anspruchsvolles Programm. Christian Rivinius, Christa Molitor-Naunheim und Manfred Faig teilten sich die musikalische Leitung.

Christian Rivinius führte den Reigen an mit der „Prélude, fugue et variation in h-Moll“, op. 18. Schon Visconti hat dieses gefällige Stück als Filmmusik entdeckt, ursprünglich eine Komposition für zwei Harmoniums, die César Franck seinem Freund Camille Saint-Saëns 1862 widmete. Geschickt setzte Rivinius die Klangfarben der neuen St. Florin-Orgel ein und arbeitete rhythmisch präzise alle technischen und gestalterischen Aspekte des künstlerischen Orgelspiels heraus, z. B. das flexible Grundtempo (tempo rubato), die Kantabilität in allen Stimmen, den Gebrauch des Schwellers usw.

Die folgenden drei Charles Gounod - Duette für Sopran, Mezzosopran und Orgel gestalteten sich abwechslungsreich. Das sanfte „Ave verum“ sang noch ein kleines Chorensemble, das fromme „O salutaris hostia“ und das strahlende „Benedictus“ trauten Beatrix Mählmann und Birgit Girod sich allein zu. Beide Stimmen verschmolzen zu einem ausgewogenen Duett. Mit den drei Versetten aus „L’Organiste“ folgte ein heimlicher Höhepunkt des Abends. In der Bearbeitung für Streicher führt Frau Molitor ihr Ensemble zu erheblichem Wohlklang und konzentrierter Performanz. Geige spielende Mittelstufenschüler stehen üblicherweise für lustlose Saitenquälerei. Von diesem Ensemble allerdings würden wir gerne mehr hören. In César Francks „Cantabile in H“ führte uns die Orgel in die Nähe der Musik Richard Wagners. Im lyrischen H-Dur beginnend, bewegt sich das Stück in chromatischen Reihungen wühlend bis hin zur versöhnlichen Schluss. In der Fantasie entstehen ganze Stummfilme im Stil Murnaus.

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Zwei Solostücke zeigen die ganze Qualität der Solistinnen: Das „Panis angelicus“ von Camille Saint Saëns, unangenehm hoch und einen Amateursänger eigentlich überfordernd, bietet die zusätzliche Schwierigkeit, dass die Abstimmung mit den begleitenden Streichern von allen Beteiligten extreme Exaktheit in der rhythmischen Abstimmung erfordert. Birgit Girot meisterte den Sangespart souverän. Als noch souveräner muss man aber hier Frau Molitors Leistung einschätzen, ermöglicht durch den Übefleiß ihrer Schülerinnen und Schüler. Im anschließenden „Ave verum corpus“ von Louis Vierne gibt Beatrix Mählmann der hochdramatischen Melodieführung eine fast knabensopranartige Schlichtheit, die der Musik so gut steht, wie der Sängerin das eigens für diesen Abend geschneiderte Abendkleid. Supersauber gesungen!
Christian Rivinius gelingt es mit dem nächsten Stück, César Francks „Choral a-Moll“, diese Leistung noch zu toppen. Virtuos zeigt er, wie Franck die Grenzen traditionaler Tonalität überwindet. Die Möglichkeit freier Unterbrechungen der klassischen Tonfolgen erhöhen die Komplexität des Werks. Toccataartig steigt das Stück ein, ein orgiastisches Schlachtengetümmel erhebt sich, Frau Molitor zieht alle Register der Orgel, Rivinius alle seines Könnens, der eigentliche Choral erhebt sich brausend, klingt sanft aus, führt den Zuhörer in ruhigeres Fahrwasser, um noch einmal anzusteigen, fast schon cholerisch ringend mit Gott und der Welt zu einem großen Finale leidenschaftlicher Musik.

Gut 90 Schülerinnen und Schüler der 6. und 8. Klassen sowie der MSS hatten bis dahin mucksmäuschenstill verharrt, eine besondere Kraftanstrengung in Disziplin. Nun eroberten sie das Chorpodest, um die „Missa breve“ von Leo Délibes aufzuführen, die von Manfred Faig in der Mittelstufe, von Christa Molitor-Naunheim in der Unterstufe und von Christian Rivinius  in der Oberstufe während des vergangenen Jahres erarbeitet worden ist. Verstärkt wurde der Chor durch eine Gruppe der Singschule der Liebfrauenkirche. Neu war: Wir haben endlich Männer, die man hört, die mehr drauf haben, als einen Fangesang im Stadion zu grölen, sondern die Stimme halten und sich nicht hinter den Mädels verstecken. So wurde der Chorauftritt zum abschließenden strahlenden Höhepunkt des Abends, bestätigt durch das Dacapo der Zugabe.

Schulleiter Carl Josef Reitz dankte abschließend im Namen des begeistert applaudierenden Publikums den Mitwirkenden, aber auch dem Team der evangelischen Kirchengemeinde für die Hilfe beim Umbau sowie Herrn Rosenbach für die technische Unterstützung des Musikgenusses. Besonders lobte er die Arbeit der Dirigenten, in deren Engagement eine Arbeit stecke, „mehr als bezahlt werden kann“.

„Wer singt, betet doppelt!“, zitierte er Augustinus. Alle Mitwirkenden können sich sicher sein: Nach diesem Abend werden sie dereinst im Paradies keine Langeweile kennen. Sie sind bestimmt eingeladen, um „L’infini dans les cieux“ auf Wolke 7 zu wiederholen.

Peter Markovic